MilitärUrban Exploration

Die Stadt im Wald

Die Geschichte dieses Ortes beginnt mit der Abholzung eines etwa 1400 Hektar großen Waldgebietes im Norden Brandenburgs. Grund dafür war die Schaffung eines neuen Truppen- und Schießübungsplatzes für die sowjetischen Besatzungstruppen. Das Ganze geschah im März des Jahres 1949. In den folgenden 45 Jahren sollte dieses Gelände zur drittgrößten russisch-militärischen Liegenschaft der DDR werden. Doch beginnen wir ganz von vorn:


Es herrschte zunächst eine gewisse Verwirrung als im März 1949 der Befehl der SMAD an das Landesforstamt übermittelt wurde, innerhalb von 2 Monaten eine solch große Fläche ab zu holzen. Die Aufgabe des Forstamtes bestand schließlich darin den Wald zu schützen. (Die SMAD ist übrigens die „Sowjetische Militäradministration Deutschlands“. Quasi das Regierungsorgan der sowjetischen Besatzungszone nach Ende des zweiten Weltkrieges, bevor es am 10. Oktober 1949 die offizielle Regierung der DDR wurde.)
Die Arbeiten an der Abholzung begannen trotz des anfänglichen Widerwillen seitens des Forstamtes recht zügig. Nachdem die Abholzung im Juni 1949 beendet wurde, erging der Befehl eine noch größere Fläche des Waldes ab zu holzen. Hier zeigte sich das außerordentlich gute Organisationstalent bzw. die Kommunikationsfähigkeiten der Sowjetischen Besatzungstruppe. Denn während die Rodungsarbeiten begonnen hatten, nahm die GSSD unangemeldet ihren schönen neuen Schießplatz in Betrieb. Man stelle sich die netten Arbeitsbedingungen vor: Bäume fällen, buddeln und sägen während unweit von einem entfernt die Gewehre knallen. Ein Traum.
Die laufenden Rodungsarbeiten gingen dadurch nur schleppend voran, wurden jedoch Mitte 1950 fertig gestellt. (Briefe belegen, dass sich das Forstamt mehrmals beschwert hat und mit der Einstellung der Arbeiten drohte solange Schießübungen stattfinden.)

Vom Wald, zum Städtchen, zur Stadt

In den den folgenden zwei Jahren entstand neben dem Truppenübungsplatz das sogenannte „Militärstädtchen Nr. 12“. Weshalb „Nr. 12“ ist mir bis zu diesen Zeitpunkt meiner Recherchen schleierhaft. Bis 1952 bestand dieses Militärstädtchen aus 8 Gebäuden. In den Jahren 1953 bis 1956 entstanden knapp 110 weitere Gebäude und die Garnison wuchs und wuchs. Diese Jahre gelten rückblickend als Hauptbauzeit. Neben der baulichen Erweiterung des Areals wurde auch die Infrastruktur gestärkt. Die ausgezeichnete sowjetische Panzerdivision (25. PD) zog 1953 auf das Gelände und wurde auf einem weiteren Teil des Gebietes, dem Militärstädtchen Nr. 13, stationiert. Hier entstanden die Montagebunker welche noch heute von außen und für die schlanken unter uns, auch von innen, zu bestaunen sind. In den folgenden Jahren wuchs die Garnison auf eine Fläche von 6800 Hektar an und bestand aus über 500 Gebäuden. Durch diverse Truppenabzüge und Zuzüge und stetige Verantwortungswechsel des Standortes sowie der Bauleitung, ist die genaue historische Rekonstruktion unglaublich schwer. Was man jedoch sagen kann ist, dass aufgrund der Lage, der Größe sowie der dezentralen Bebauung, dieser Standort von vornherein als ein autonomer Standort geplant war. Die Kaserne bot eine komplett eigene Infrastruktur mit Kino, Klubs, Sporthallen, Saunen, Schule, Bäckerei, Wäscherei, Werkstätten, Wasser-, Heiz- und Klärwerk, Krankenhaus und Unterkünfte. Daher bekam der Standort auch seinen Namen „Die Stadt im Wald“.

Vom Bahnhof Vogelsang ging ein Gleis in ein Lagerabteil der Kaserne, bestehend aus mehreren Hallen für die unterschiedlichsten Materialien. Hierüber wurde die Versorgung der Garnison sichergestellt. 2010 wurden diese Gleise abgebaut.

Wie viele Menschen hier einst lebten ist schwer zu sagen. Nicht nur aus Gründen der Geheimhaltung sondern auch durch starke Schwankungen der Stationierungen. Denn während beispielsweise die 25. Panzerdivision (PD) auf dem Gelände stationiert wurde, bestand eine Division aus 4 Regimentern. Das wurde allerdings Mitte der 1950er Jahre auf 3 Regimenter pro Division gekürzt. Die PD ist nicht der einzige Truppenteil den das betraf. Dazu kommt noch, dass die Mannschaft der Stütznachrichtenzentrale sowie die Truppenteile des Schießplatzes nicht in die Zählung mit aufgenommen wurden, da sie nicht zu den Verbänden der ansässigen Division gehörten. Das alles macht es schwer sich auf eine Zahl fest zu legen. Zieht man die Notizen der GSSD und Recherche-Ergebnisse des Nachrichtendienstes der U.S. Army zu Rate kommt man auf eine durchschnittliche Besatzungsstärke von 10.000 bis 12.000 Menschen. Das macht den Standort Vogelsang nach Wünsdorf und Jüterbog zum drittgrößten der DDR. Ende der 80er Jahre allerdings bestand nach Angaben der GSSD die Soll-Stärke nur noch aus 6.000 Mann, was dem militärischen Truppenabzug geschuldet war.

Im Laufe meiner Recherchen ist es mir zwar gelungen ein wenig Licht ins dunkel zu bringen, was die Nummerierung der „Militärstädtchen“ angeht, aber wie die Nummerierung im Verhältnis zur Baugeschichte steht ist mir weiterhin schleierhaft.

Ich möchte der Vollständigkeit halber eine meiner Hauptquellen zitieren und für genauere Informationen auch darauf verweisen.

„Nach einer erneuten intensiven Auswertung der mir vorliegenden
Unterlagen, Übergabeprotokollen und Original Plänen ist für die «Garnison Vogelsang» ein Gesamtbestand von 507 Gebäuden aufgelistet. Alle diese Gebäude sind in ihrer Funktion bestimmt. Dieser Gesamtbestand gilt für alle 11 Militärstädtchen.

Die Garnison Vogelsang war in mehrere Militärstädtchen aufgeteilt:
Nr. 01: Tanklager Kurtschlag

Nr. 12: Stab 25. PD, PR, MSR, MSB, NA, chem. Abwehr, Militärabwehr, Pioniere
Nr. 12A: Truppenluftabwehr (TLA)
Nr. 12B: ?
Nr. 12C: ?
Nr. 12D: ?
Nr. 13: Bewegliche Raketentechnische Basis (BRTB) / Raketenabteilung (RA) der Division
Nr. 14: Munitionslager (ML)
Nr. 15: Tanklager
Nr. 16: Material- und Versorgungslager
Nr. 17: StNZ 721
Nr. 39: Artilleriemunitionslager für Panzer und Artilleriewaffen der Division“

Der Kampf gegen das Vergessen


Mario Hoffmann, der Betreiber der Internetseite heimatgalerie.de, hat sich die historische Aufklärung über die Garnison Vogelsang ganz groß auf die Fahne geschrieben und leistet damit auch eine unglaublich gute Arbeit.

Für jeden der noch detailliertere Informationen über „die Stadt im Wald“ haben möchte, wird definitiv auf heimatgalerie.de fündig.
Wer selbst noch Hinweise, Geschichten, Daten, Fakten oder sogar Dokumente besitzt oder gar findet, der kann sie gerne dem Seitenbetreiber von heimatgalerie.de zukommen lassen.

Wem das noch immer nicht ausreicht, dem lege ich die Dokumentation „Lenin in Vogelsang“ ans Herz. In dieser Dokumentation von Stefanie Trambow, welche im November 2013 ihre Premiere feierte, bekommen Zeitzeugen, ehemalige Soldaten und Anwohner der umliegenden Gemeinden das Wort und erzählen aus ihrer Sicht, wie sie die Zeit und das Zusammenleben der Soldaten und Zivilisten damals erlebt haben.

Hier der Trailer zur Dokumentation:

Hier der Link zur Dokumentation von Stefanie Trambow auf Vimeo.

 

Meine Reise beginnt…

Der letzte Soldat verließ 1994 das Gelände. Er gehörte der Stütznachrichtenzentrale an. Er löschte das Licht, schloss das ganze Gelände ab, machte sich wahrscheinlich auf den Weg nach Rangsdorf (vom Flugplatz Rangsdorf wurde der große Truppenabzug bis 1994 organisiert – auch dazu wird es noch einen Artikel geben) und wer weiß wo er heute ist und was er so tut. Mein Weg führt mich nun 23 Jahre später, an einem kalten Tag im März 2017 zum ersten mal auf dieses Gelände. Die Kälte allerdings spürt man schon nach kurzer Zeit nicht mehr, denn um überhaupt auf dieses Gelände zu kommen, muss man erst einmal ca. 2km durch den Wald laufen. Das ist auch kein Problem denn ein ausgebauter Waldweg führt einem direkt zu den Baracken. Mein erster Besuch bestand hauptsächlich darin, mir einen Überblick über das Gelände zu verschaffen. Denn nachdem der letzte Soldat das Gelände verließ, gab man der Natur 10 Jahre Zeit sich das Gelände zurück zu holen. 2004 begann man aktiv das Gelände zu renaturieren indem man Häuser und Hallen abriss und heute noch abreisst. Vage Zahlen im Netz geben an, dass das Gelände zum Stand 2016 zu 80% renaturiert sei. Ich kann und will mich da nicht festlegen. Es könnten auch nur 50% sein. Fakt ist, dass man die Abrissarbeiten auf dem Gelände merkt und sieht. Dichter Wald wechselt stetig mit Freiflächen, während man über das Gelände streift. Ab und zu stolpert man über eine kleine Baracke oder einer kleinen Ansammlung mitten im Wald.

Der Nordteil ist noch verhältnismäßig dicht bebaut. Hier kann man noch einige Häuser begutachten. Allesamt in einem beklagenswerten Zustand. Auffällig ist der Baustil im Gegensatz zu Kasernen wie Jüterbog oder Wünsdorf. Denn diese Garnisonsstadt ist von den Russen nicht besetzt worden, sondern selbständig erbaut worden. Klar, die DDR musste dafür zahlen aber der architektonische Baustil gleicht mehr dem Russen denn dem Deutschen. Ähnliches lässt sich übrigens auch in der Planstadt Eisenhüttenstadt bewundern.

Was übrig bleibt…

Wie gesagt: Viel ist heute nicht mehr übrig. Doch einige Highlights gibt es dennoch. Da wären die zwei Sporthallen versteckt im Wald die auch ein sehr beliebtes Motiv unter Urbexer sind. Das Heizkraftwerk im Westen des Nordteils steht auch noch. Jedoch droht der Schornstein jeden Moment zusammen zu brechen. Ich empfehle daher sich eher von dem Areal fern zu halten.

Generell möchte ich an dieser Stelle warnen, die Wege des Geländes zu verlassen. Es handelt sich hier um ein verlassenes Militärgelände. Hier kann überall noch scharfe Munition herum liegen und eine erhebliche Explosionsgefahr bestehen.

Ein weiteres Highlight für diejenigen unter uns, die sich gerne unter Tage aufhalten: Es gibt ein paar kleine Bunker verstreut über das Gelände die heute als Fledermaushöhlen genutzt werden. Auch Keller werden als solches benutzt. Aus Erfahrung empfehle ich die Tiere in Ruhe zu lassen. Sollte eine Fledermaus durch euren Besuch aufgeschreckt worden sein, dann geht bitte einfach raus. Ein so tolle Orientierung haben die Tiere in den engen dann doch nicht.

Ich hatte es ganz am Anfang kurz einmal erwähnt: Für die schlanken unter uns gibt es noch ein weiteres Highlight auf diesem Gelände. Ich meine das jetzt auf keinen Fall diskriminierend:

Im Januar 2018 begab ich mich ein zweites Mal nach Vogelsang um mich noch einmal um zu schauen. Das Gelände selbst schafft man nicht komplett an einem Tag zu durchforsten. Diese Garnison ist im Prinzip wie Jüterbog: Du kannst zwar hin fahren und den ganzen Tag alles erkunden, aber du wirst immer mit dem Gefühl nach hause fahren, nicht alles gesehen zu haben.

Aber kommen wir zum Punkt:
Es gibt eine Möglichkeit in den Montagebunker herein zu kommen. Allerdings nur wer schlank, wendig und frei von Platzangst ist. Ich werde nicht sagen wo genau sich dieser Montage- oder Lagerbunker befindet aber wer ihn entdeckt darf sich freuen. Neben dem riesigen Eingangstor befinden sich mehrere kleine runde Öffnungen. Möglicherweise waren dort mal Zirkulationsrohre befestigt oder was auch immer. Mir sei es egal denn genau das ist der Weg hinein. Und es lohnt sich: Ich bin zwar kein Fan von Graffiti und sonstige Malereien auf Lostplaces aber die Kunstwerke vom Künstler Plotbot haben mittlerweile Legenden-Status. Und immer wenn ich seine Kunst finde, freue ich mich . Das besondere seiner Kunst an diesen Orten ist, dass er es perfekt schafft die Atmosphäre eines Ortes auf zu fangen und in seiner Kunst wieder zu geben. Die ersten Graffitis sind am Tor zu sehen…und am wahren Eingang. Drei weitere gibt es im Bunker.

Der Bunker selbst hat auch eine interessante Geschichte. Denn während der aktiven Zeit des Geländes, genauer in den Jahren 1959 bis 1960 wurden 2 Raketenabteilungen und Montageabteilungen hier stationiert. Ihr kleines nettes Mitbringsel war das Raketensystem R-5M, eine strategische Rakete mit Nuklear-Sprengkopf. Ob hier jedoch tatsächlich damals nukleare Sprengköpfe gelagert wurden, ist bis heute weder bestätigt noch widerlegt. Fakt ist aber, dass dieser Bunker und ein weiterer baugleicher Bunker im Norden als Lager- und Montagebunker genutzt wurde.

Eine weitere Entdeckung bei meinem zweiten Besuch ist der Bunker der Stütznachrichtenzentrale. Ich wollte nach einer Suche nach dem Eingang schon fast aufgeben doch ich fand eine kleine aufgebuddelte Stelle durch die man hinein gelangt. Drinnen erwartete mich zunächst ein Zugangstunnel und dahinter ein Flur mit ziemlich vielen Drucktüren. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich auf meinen Touren nie alleine bin, doch die Euphorie über den Fund ließ mich nach vorn in den Bunker laufen während meine Begleitung noch am Eingang blieb um Fotos zu machen.

Ich stehe nun also alleine im Bunker. Mitten im engen dunklen Flur zwischen den Drucktüren. Einzig der Schein meiner Taschenlampe zeigte mir partiell meine Umgebung. Ein ungutes Gefühl ließ mich inne halten und meine Euphorie wurde von einen kleinen Adrenalin-kick verdrängt. War das gerade ein Geräusch?…Dong Dong Dong…Okay, da ist etwas! Bin ich hier etwa nicht allein?…Dong Dong Dong…Ich blieb wie versteinert stehen. Da war definitiv ein Geräusch. Zu regelmäßig um von einem eventuellen Luftzug erzeugt worden zu sein. Woher auch? Ich bin unter der Erde und der einzige Eingang ist hinter mir. Wieder…Dong Dong…Das Kopfkino setzte ein und ich entschied hier nicht alleine weiter zu gehen. Egal ob ein Mensch oder ein verirrtes Tier: Vorsicht ist die Mutter der Weisheit. Ich ging also zu meiner Begleitung zurück um mit ihm gemeinsam vorsichtig den Bunker zu erkunden. Relativ früh stellte sich heraus, dass es zwei weitere Urbexer waren die sich lediglich umschauten. Ein kleiner Nervenkitzel der mir den Tag versüßte. Immer wieder erfrischend…

Die Bilder meiner beiden Besuche findet ihr hier unten und in meiner Galerie.

Falls es Fragen, Anregungen oder Kritik gibt. Oder falls ihr Fehler findet, könnt ihr das gerne in die Kommentare schreiben oder mich kontaktieren.

Case closed! Vorerst…


Bilder von meinem Besuch in 2018

Bilder von meinem Besuch in 2017

 


Verwendete Quellen:
Wikipedia
www.heimtgalerie.de

4 Gedanken zu „Die Stadt im Wald

  • Tom Kunkel

    Du warst bisher die hilfreiste Quelle, für die Planung meiner Tour zur Garnison Vogelsang und hast alles sehr anschaulich und spannend erzählt. Könntest du mir bitte sagen wo sich die aufgebuddelte Stelle beim Nachrichtenbunker befindet?

    Antwort
    • harriz

      Hi Tom,
      vielen Dank das freut mich.
      Wenn die aufgebuddelte Stelle überhaupt noch existiert und nicht wieder zugeschüttet wurde, dann befindet sie sich auf einer der Stirnseiten des länglichen Hügels.
      Es ist nicht direkt auf den ersten Blick zu erkennen. Aber bei genauerem hinschauen ist er kaum zu übersehen.

      Viel Erfolg. 🙂

      Antwort
  • Danke. Habs gefunden – vorerst online. Taschenlampe fürs nächste WE wird geladen. Dann bin ich mit dem Gelände durch. Folgeprojekt ist dann das Gelände oberhalb der L15/ Schweinrich.

    Antwort
    • harriz

      Na dann mal viel Spaß und immer schön vorsichtig.

      Antwort

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